Meine Familie ist vor 50 Jahren aus Ungarn in die Schweiz Ausgewandert… 🇭🇺🇨🇭
Ich – Thomas Imre Kovacs sr. – bin ein Zürcher. Ich kam 1970 im Alter von zehn Jahren in die Schweiz und bin hier aufgewachsen, bin seit über fünfzig Jahren ein waschechter Stadtzürcher. Ich bin auch ein Ungar, weil ich in Budapest auf die Welt kam. Unterschätze aber niemals den Einfluss der Umwelt. Er prägt dich sehr, vielleicht mehr als du denkst, besonders wenn du als Kind gewissermassen umgepflanzt wurdest. Ich weiss, dass es so ist. Ganz bestimmt. Ich fühle mich als Schweizer, durch und durch. Ich denke schweizerdeutsch. Ich spreche besser schweizerdeutsch als ungarisch. Und trotzdem: Die unharischen Wurzeln sind da und werden immer da sein. Zu guter Letzt kann niemand seine Wurzeln leugnen.
Die Neue Heimat, die Schweiz?
Weil ich den Grossteil meines Lebens in der Schweiz verbrachte, wird für mich dieses Land immer meine Heimat sein. Ich bin und bleibe Schweizer. Daran wird sich nichts ändern. Ungarn ist untrennbar mit meiner frühen Kindheit verbunden, aber mein Erwachsenen-Ich wird sich immer als Schweizer fühlen. Gefühle sind das Entscheidende. Wenn ich an Ungarn denke, denke ich zuerst an meine Eltern. Sie haben die Transition in dieses Land als damalige Flüchtlinge nicht so mühelos überstanden wie ich als Kind. Ja, sie haben sich angepasst. Und ja, sie haben sich gut eingelebt. In ihren Herzen aber blieben sie immer mit der alten Heimat verbunden. Vor allem mein Vater. Ihm fiel das Leben in diesem neuen Land nicht immer leicht. Wohl deshalb ist er mit meiner Mutter vor 16 Jahren wieder zurück nach Ungarn gezogen. Und deshalb lebte meine Beziehung zu Ungarn auch wieder auf.
Seit der Rückkehr meiner Eltern beschäftige ich mich intensiver mit Ungarn als früher. Zwangsläufig, könnte man meinen, da ich sie regelmässig besuche. Und dann kommt Verbundenheit auf, eine Art übergeordnetes Gemeinschaftsgefühl, das ich nicht klar definieren kann. Eines der wesentlichen Eigenschaften der Ungarn ist die Schwermut, eine Art melancholische Traurig-Fröhlichkeit. Das ist ganz besonders ungarisch, wie scharfe Paprika und Gulaschsuppe.
Meinem Vater war diese Schwermut ganz und gar eigen, und ein kleines Bisschen hat vermutlich auf mich abgefärbt. Das konnten auch fünf Jahrzehnte Aufenthalt in der Schweiz nicht ganz tilgen. Dieses ganz besondere Gefühl ist da, meist irgendwo unscharf im Augenwinkel, und verschwindet meist, wenn ich es zu greifen versuche. Aber nicht immer. Manchmal lässt es sich fassen, wenn auch nicht in Worte.
Diese Stimmung ist es, die mich mit Ungarn verbindet. Ich kann sie unterschwellig fühlen, wenn ich durch die belebten Strassen von Budapest spaziere, oder am Ufer des Balaton den leisen Wellen lausche, die sich am Ufer brechen. Sie ist da, wenn ich in der Hauptstadt in einem Café oder einer Bar sitze und meinen Gedanken freien Lauf lasse. Und wenn ich ein Buch von einem ungarischen Dichter zur Hand nehme, kann es sein, dass mich das Gefühl bei der Lektüre ganz und gar übermannt. Die ungarische Sprache kann das. Sie ist nuanciert, elegant, wortgewandt und erstaunlich feinfühlig, ohne prätentiös zu wirken. Die Liebe zu den Sprachen, zum geschriebenen – und gezeichneten – Wort hat mich auch zu meinem Beruf geführt. Ich arbeite als Allrounder und Verkäufer im Familienbetrieb «Amazingtoys.ch», wo ich mich mitten unter Büchern, Comics und Trading Cards zuhause fühlen kann.
Menschen, die regelmässig und oft nach Ungarn reisen, werden dieses ganz besondere «ungarische» Gefühl zumindest erahnen. Es ist dort selbstverständlicher Teil des Lebens und manifestiert sich in unterschiedlicher Art und Weise. Manchmal entlädt es sich als geballte Emotion, dann wieder zeigt es sich als leidenschaftlicher Ausdruck in der Musik, der Kunst oder Lyrik. Oder auch in kulinarischen Gefilden. Ungarisch eben.
Die Vielschichtigkeit zwischenmenschlicher Kommunikation äussert sich in der ungarischen Sprache auch in der unterschiedlichen Anrede der zweiten Person. Für das deutsche «Sie» existieren mindestens drei Varianten, je nach der Person, mit der man sich unterhält. Dieser «graduelle Respekt» ist typisch ungarisch, auch wenn er durch den westlichen Einfluss und der allgemeinen Verrohung der Sprache nicht mehr so präsent ist wie früher. Ich habe diese Art der Kommunikation als Kind noch bewusst miterlebt und als Erwachsener quasi neu wieder entdeckt.
Tatsächlich versuche ich mir einzureden, dass diese ganz spezielle ungarische Höflichkeit auf den Umgang mit meinen Mitmenschen in der Schweiz abgefärbt hat. Schliesslich kann ich in meinem Beruf die zwischenmenschliche Kommunikation täglich einsetzen. Und ein kleines bisschen von der ungarischen Sprache haben meine Eltern meinem Sohn auch mit auf den Weg gegeben. Er wurde 1996 hier in Zürich geboren und hat eine Mutter vietnamesischer Herkunft. Er ist durch und durch Schweizer, und doch ist es seinen Grosseltern – meinen Eltern – gelungen, in seinen ersten Lebensjahren sooft und soviel ungarisch mit ihm zu sprechen, dass so manches hängen geblieben ist. Da haben wir sie wieder, die ungarischen Wurzeln. Auch er kann sie nicht abschütteln. Wie siehst du das, mein Sohn?
Die Sicht als Secondo…
In meiner frühen Kindheit war mir – Thomas Brandon Kovacs jr. – nie ganz klar, was es bedeutet Schweizer, Ungar oder Vietnamese zu sein. Ich ging davon aus, dass dafür der Geburtsort entscheidend ist. Doch solche kindlichen Gedanken sind, was sie sind: naiv, unschuldig und unbeschwert. Von meiner Mutter lernte ich vietnamesisch, von meinem Vater schweizer-deutsch und meine Grosseltern brachten mir die ungarische Sprache bei.
Aufgewachsen bin ich also mit mindestens drei kulturellen Hintergründen. Rückblickend ist dies sicher einer der Gründe, weshalb ich weltoffen gegenüber anderen Kulturen bin. So vielschichtig aufgewachsen zu sein, hilft einem eine Art übergeordnete Perspektive einzunehmen. Ich bin gewissermassen ein Kosmopolit. Wir sind zwar letztendlich alle gleich, haben aber eben doch alle unsere Eigenheiten und unterschiedlichen Sitten und Bräuche.
Die Schweiz ist meine Heimat, die Schweizer Kultur hat mich durch und durch geprägt. Und dann natürlich die ewige Frage: Was bist du? Ich bin ein Coop-Chind! Wie kannst du nur ein Migros-Chind sein? Der Schweizer bringt es immer auf den Punkt, wie ein Präzisionsuhrwerk. Auch mit der Demokratie nimmt er es sehr genau, viel mehr als andere Länder: Nur die Direkte Demokratie bringt’s. Der Bürger kann nicht nur wählen, sondern auch über die wichtigsten Gesetze und Änderungen abstimmen! Auch die finanzielle Natur des Schweizers hat sich bei mir ausgeprägt, nicht nur durch meine Berufswahl und Ausbildung bei der Schweizer Bank UBS, sondern später auch mit meinem Projekt, dem grössten persönlichen Schweizer Finanzblog «Sparkojote.ch». In diesem berichte ich mittlerweile regelmässig über das aktuelle Finanzgeschehen auf der Welt.
Für mich sind Ungarn und meine ungarischen Wurzeln gleichbedeutend mit meinen Grosseltern. Sie prägten mich in meiner frühen Kindheit und verkörpern für mich auch heute noch das, was ich unter dem Begriff Ungarn verstehe. Es sind diese Erinnerungen, als ich an vielen unbeschwerten Wochentagen nachmittags bei Oma und Opa zuhause war und wir Canasta spielten, ein klassisches Kartenspiel. Dabei sprachen wir immer ungarisch. Jubelrufe und Kommentare flogen auf ungarisch hin und her. Und mein Opa fluchte auch schon mal herzhaft. Das konnte er sehr gut, darin ist die ungarische Sprache Klassenbeste!
Auch ungarische Märchen- und Kinderbücher, die mir meine Oma vorlas, verbinde ich mit einer herzenswarmen, glücklichen Erinnerung. Familienzusammenkünfte von Onkel, Tante, Cousin, Cousine und anderen Verwandten fanden immer hier statt. Die Wohnung meiner Grosseltern im Kreis 4 von Zürich war immer Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Es war immer da, wo meine Grosseltern waren. Sie waren für mich gleichbedeutend mit dem Begriff Familie, Zuhause und Geborgenheit.
Ihre Rückkehr nach Budapest im Jahr 2006 (ich war damals zehn Jahre alt) hat meine Verbindung zu Ungarn wahrscheinlich um einiges klarer werden lassen, als in den Jahren vorher. Mindestens einmal im Jahr besuchten mein Vater und ich die Grosseltern in Budapest. Es ist schon seltsam, wenn man in der Schweiz jemanden besucht und das Gefühl für ein anderes Land bekommt. So war es ja damals, als ich noch klein war. Und als ich nach Budapest fuhr, um Oma und Opa zu besuchen, war Ungarn für mich, wie wenn ich meine Grosseltern zuhause in der Schweiz besucht hätte. Da war kein Unterschied!
Über die Jahre hinweg gab es viele Familientreffen in Ungarn, was meinen Bezug zu diesem Land deutlich stärkte. Und wenn ich heute an Ungarn denke, steht es für mich als Synonym für Familie, ja sogar noch für einiges mehr: Es ist das Gefühl für Familie, enge Verbundenheit und grosse Herzlichkeit.
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In der letzten Zeit frage ich mich allerdings oft, wie es mir wohl anders hätte ergehen können. In der Schweiz bin ich als Secondo geboren und aufgewachsen, meine Grosseltern sind mit ihren Kindern (mein Vater und seine Brüder) aus dem damaligen kommunistischen Ungarn geflüchtet. Sie wollten ihren Kindern und wohl auch späteren Generationen ein besseres Leben mit mehr Möglichkeiten und besseren Zukunftsperspektiven bieten. Ich kann nur ansatzweise erahnen, wie stark man sein muss, sein Heimatland zu verlassen, um den Kindern und Enkeln eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Ich bin mir durchaus bewusst, wie viel Glück ich habe, eine solche Möglichkeit geboten zu bekommen, ohne jemals etwas dafür getan zu haben.
Die Freiheit, in Ungarn zu leben, wenn ich es wollte, steht mir heute offen. Doch für mich ist die Schweiz zu meiner Heimat geworden. Sie war es schon immer und wird es auch immer sein. Ungarn bedeutet für mich «meine Grosseltern». Oma und Opa. Und ich werde sie und mit ihnen das Land, das sie verlassen mussten, damit ich in der Schweiz geboren werden konnte, immer in meinem Herzen bewahren. Mein Vater und ich, wir sind beide Schweizer. Er ist eingewandert und naturalisiert, ich bin in der Schweiz geboren. Aber wir beide haben unsere ungarischen Wurzeln, die wir im Herzen mit uns tragen.
Autoren:
Thomas Imre Kovacs (Senior) & Thomas Brandon Kovacs (Junior)
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5 Responses
Hallo Thomas!
Sehr schöner Beitrag!!
Wir alle sind im gleichen Boot am schluss segeln wir richtung Haupt-Hafen zurück egal wieviel wir an Status gewonnen haben.
Die Grosseltern sind für mich den Honigtopf des Lebens!
Diesen Einblick in dein Leben schätzi ich sehr weil du mit den Füssen am Boden geblieben bist! Bravo!👍
Mein Vater kam im 68 in der Schweiz von Italien da war noch die Schwarzenbach revulotion voll im gange!
Meine Mutter kam im 81 nach dem schweren Erdbeben in Italien!
Meine Eltern sind letztes Jahr nach Italien für immer zurück gereist ihr Herz wollte das unbedingt!
Jetzt sind wir am Zuge, wir secondos müssen Verantwotung übernehmen für uns und unsere zufünftige Kinder!
Die Demokratie steht über alles sie müss geschützt und vorallem verstanden werden!
Wir sind alle unterschiedliche Herkunft eins verbindet uns die Freiheit und den Blick nach vorne!
Unsere Grosseltern und Eltern haben die Schweiz gross gemacht haben viel gearbeitet zu spöt Löhne!
Am schluss sind wir alles erwachsen geworden! Wir sollten unsere Indentität niemals verlieren und die Grundwerte weiter Leben die unsere Eltern und Grosseltern uns auf dem Weg mitgegeben haben!
Gruss marco
Hallo Thomas,
Chapeau für diesen Artikel und Chapeau für eure Geschichte an deine Großeltern, an deinen Vater und an Dich!
Viele Grüße
nap
danke für diesen persönlichen Einblick. Spannend, dass das Vietnamesische hier nicht so viel Einzug erhält – war das nicht göeich stark prägend oder wolltrst du dich hier auf das Ungarische fokussieren? Mir geht es mit meinem Hintergrund jedoch ähnlich und ich fühle 100% mit dir.
Alles Gute weiterhin
@Natalie
Der Artikel sollte tatsächlich lediglich die Ungarische Seite zeigen. Die andere kommt sicher auch irgendwann einmal.
LG
Thomas
Ein rundherum toller Beitrag! Ein schöner Einblick und eine einfühlsame Beschreibung!
Auch ein großes Danke an deinen Vater für seinen Beitrag, und auch an dich für deine Antwort bzw Ergänzung, ihr beide habt das sehr gut gemacht!
LG Ela